Für einen Moment lang im Westen angekommen

Nach dem Studium in Dresden wollte ich unbedingt nach Berlin ziehen. Meine Freundin und ich haben damals auch ganz spontan entschieden zu heiraten.
In diesem Anzug bin ich dann am 13. Januar 1989 in Berlin auf dem Standesamt erschienen. Nach der Zeremonie gab es ein kleines Essen und danach bin ich mit einem Freund durch die Stadt gelaufen. Eigentlich wollten wir zum Exquisit-Laden am Spittelmarkt, sind dann aber die Leipziger Straße entlang. An der Mauer in der Wilhelmstraße war Ende.
Beim Blick zurück auf die Hochhäuser kam uns der Gedanke, dass man von da oben eigentlich nach Westberlin schauen könnte. Wir haben also irgendwo bei der 47 geklingelt, die Tür öffnete sich und mit dem Fahrstuhl ging es hoch in die fünfundzwanzigste Etage. Da war tatsächlich ein offener Balkon. Wie in einem Monopoly-Spiel lag die Stadt vor uns. In unseren Gedanken waren wir einen Moment lang im Westen angekommen. Vor lauter Aufregung haben wir sogar vergessen, ein Foto zu machen.
Dann kam der Mauerfall und die Scheidung. 1994 habe ich zum zweiten Mal geheiratet und wir sind in den Prenzlauer Berg gezogen. Noch im selben Jahr kamen wir über einen Wohnungstausch, damals hat man Wohnungen ja noch getauscht, in die Leipziger Straße 56. Von da aus konnte ich den Balkon sehen, auf dem ich damals mit meinem Freund stand. Heute wohnt immer noch unser Sohn in der Wohnung.